Anti-House, review by Rigobert Dittmann

Rigobert Dittmann, Bad Alchemy Magazin 67, Deutschland, Herbst 2010

INGRID LAUBROCK ANTI-HOUSE resultiert aus dem Wechsel der Saxophonistin von London nach New York. Ihr Quartett mit Mary Halvorson an der Gitarre, John Hébert am Bass und Tom Rainey an den Drums wird bei einigen der Stücke des Debuts (Intakt CD 173) noch durch ihre Stone-Trio-Partnerin Kris Davis am Piano erweitert. Laubrocks Vorstellungen sind stark genug, um den Geist von Sleepthief (ebenfalls mit Rainey, ebenfalls auf Intakt) mit über den Atlantik zu nehmen. So erklingen neben sprunghaft munteren und, vor allem von Halvorsons lehrbuchwidrigen Saitentraktaten, ungeniert angeschrägten Tönen auch wieder solche, die, Laubrock-typisch, nachdenklich das Kinn aufstützen. Meist kollidieren beide Seiten innerhalb der 6, 7 Minuten, in denen sich viele der Stücke entfalten. Daneben gibt es kurze Kollektivimprovisationen als solche oder als geräusch- und seltsamkeitsverliebte Intros zu den Kompositionen. "Funhouse Clockwork" mit Glockenspiel von Rainey macht loses Gepinge und geräuschhafte Kürzel einfach zum Gestaltungsprinzip. Kühl und sparsam Abgeklärtes und problematische Ungradlinigkeit gehen Hand in Hand, vereint in spröder Poesie. Davis streut dazu ganz kristalline Klangpartikel, spitzfingrig flink. Rainey klickert und kleckert perkussiv, quick, allenfalls fragmentarisch, was Rhythmik angeht, aber vieltönig rollt und wuselt er durch verwinkelte Fluren und treppauf-treppab. Bei Anti-House sind die Dimensionen wie von Maurits Cornelis geEschert. Laubrock fand für diese Insichwidersprüche poetische Namen: "Messy Minimum", "Mona Lisa Trampolin". Auf den kurzen Kladderadatsch "Big Bang" folgt der Beinahestillstand "Big Crunch". "Betterboon" wechselt in sich von Sopranomondstich zu ostinaten Stupsern und Gitarrennoten, so krumm wie verbogene Nägel. "Tom Can"t Sleep" beginnt als Glockenspielwiegenlied, das einem allerdings die Augen so sperrangelweit aufreißt, dass man sich gleich wieder ins Nachtleben stürzen und von Halvorson das Fell aufrauen lassen kann. Ihre verzogenen Töne lassen bei "Oh Yes" nochmal die Fetzen fliegen, "Mona Lisa" zwirbelt nach einer langen Denkpause ihren Dali-Schnurrbart zu Glockenspiel, Schrottgerappel, freigeistigem Getröte und Geplinke. Wie könnte man dieses Lächeln nicht erwidern?